sozialpolitikaktuell

dgb logo22.03.2018

Gesundheitspolitische Leitlinien der neuen Bundesregierung

Nachdem in den Koalitionsverhandlungen vehement über das Für und Wider einer möglichen Bürgerversicherung gestritten wurde, gehen die gesundheitspolitischen Vorhaben der neuen Bundesregierung nun zunächst in eine andere Richtung. Die paritätische Finanzierung der GKV-Beiträge soll wiederhergestellt werden, womit eine Kernforderung des DGB in die Realität umgesetzt wird. Andere gesundheitspolitische Ansätze, etwa aus den Bereichen Prävention und ambulante Versorgung bleiben hingegen unklar. Der DGB erläutert die im Koalitionsvertrag beschlossenen Vorhaben.

bild gesundheit

In den gesundheitspolitischen Plänen der neuen Bundesregierung sticht insbesondere ein Vorhaben hervor, das von Seiten des DGB ausdrücklich begrüßt wird.

Die durch nichts zu rechtfertigende finanzielle Mehrbelastung der Versicherten durch das einseitige Erheben des Arbeitnehmer-Zusatzbeitrages wird endlich ein Ende finden, indem die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherungsbeiträge wiederhergestellt wird. Ab 1.1.2019 werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder zu vollständig gleichen, paritätischen Teilen den GKV-Beitrag inklusive Zusatzbeitrag finanzieren. Mit diesem Schritt wird eine Beitragssenkung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Aussicht gestellt, die gerade unteren und mittleren Einkommen zu Gute kommen wird. Des Weiteren enthalten die Pläne der neuen großen Koalition die ebenfalls vom DGB geforderte Einführung von kostendeckenden Krankenkassen-Beiträgen für ALG II- Bezieher sowie die seit langem notwendige Reduzierung des Mindestkrankenversicherungsbeitrages für kleine Selbstständige.

Gerade im so wichtigen Feld der Prävention werden jedoch nur wenige konkrete Ansätze formuliert. Mit einem nationalen Gesundheitsportal soll etwa eine verbesserte individualisierte Informationsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger über medizinische Fragestellungen geschaffen werden. Weitere Maßnahmen zur Erreichung der notwendigen Impfquoten in der Bevölkerung sollen ergriffen werden; ebenso soll die Bekämpfung von Drogenmissbrauch und die Substanzprävention gestärkt werden. Diese Schritte gehen zweifellos in die richtige Richtung, lassen allerdings zentrale Fragen etwa zur Bedeutung sozialer Determinanten von Abhängigkeitsformen, die Notwendigkeit einer Stärkung von Verhältnisprävention gegenüber Verhaltensprävention oder der grundsätzlichen Bedeutung der sozialen Bedingtheit von Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken außer Acht.

Im Feld der ambulanten Versorgung werden zahlreiche Schritte in Aussicht gestellt, deren Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar ist - sowohl hinsichtlich ihrer Ausgestaltung als auch bezüglich ihrer Finanzierung. Zudem sollen die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung gestärkt werden; die Hospiz- und Palliativversorgung soll verbessert werden. Eine gute Erreichbarkeit ärztlicher Versorgung sowie wohnortnaher Geburtshilfen, Hebammen und Apotheken vor Ort sollen gewährleistet werden. Hinzu kommt ein Bekenntnis zum Innovationsfonds über das Jahr 2019 hinaus und eine Stärkung vorhandener Disease-Management-Programme zu Rückenschmerzen und Depressionen. Deutlich wird bei diesen allgemeinen Ankündigungen im Moment in erster Linie ein starker Fokus auf die Seite der Leistungserbringer - und ein damit einhergehendes mögliches Kostenrisiko für die Versicherten. 

Den großen gesundheitspolitischen Wurf bleibt die neue Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag vorerst schuldig. Die vom DGB geforderte Einführung einer Bürgerversicherung ist nicht beschlossen worden, dafür aber die Einrichtung einer Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Reform der Honorarordnung. Da wird das Pferd ganz offenkundig von hinten aufgezäumt. Wer Verbesserungen für Versicherte erreichen will, der muss zuerst die Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung anheben, den versicherten Personenkreis erweitern, zum Beispiel durch die grundsätzliche Öffnung der GKV für Beamtinnen und Beamte, und den unsolidarischen Ausstieg der jungen, gesunden Besserverdienenden aus der gesetzlichen Krankenversicherung unterbinden. Darüber hinaus muss er den unsinnigen Wettbewerb der Kassen um Mitglieder durch einen Wettbewerb um die optimale Versorgungsqualität ersetzen.

Fazit: Der DGB erkennt im Koalitionsvertrag neben einigen erfreulichen und dringend notwendigen Vorhaben auch zahlreiche unklare oder falsch justierte Ansätze. Dennoch werden, wenn sich die Gesundheitspolitik der Bundesregierung diesen Zielen in den nächsten Jahren verpflichtet fühlt, einige gerechtigkeitsförderliche und sozial ausgerichtete Schritte eingeleitet. Das Ergebnis ist insgesamt zu begrüßen, gibt der Bundesregierung aber zugleich mit auf den Weg, dass sie bei dieser Strategie der kleinen Schritte nicht bleiben darf, wenn sie eine langfristig erfolgreiche, sozial gerechte Gesundheitspolitik in die Tat umsetzen will. Nötig wäre dies allemal. 

Die ausführliche Bewertung der diesbezüglichen Passagen des Koalitionsvertrages können Sie in der Sozialen Sicherheit, Ausgabe 3/2018, nachlesen.