Der DGB beleuchtet den Koalitionsvertrag zur Pflegepolitik
Sozialpolitik
Was bringt die neue Pflege-Agenda der Bundesregierung?
Die Große Koalition will die Pflege verbessern und die Unterstützung für pflegende Angehörige ausgebauen. Zudem sollen die Arbeitsbedingungen in der Pflege so attraktiv gemacht werden, dass ausreichend Beschäftigte in Pflegeberufen arbeiten möchten und die Versorgung der Menschen sicherstellen. Der DGB hat die Pläne aus gewerkschaftlicher Sicht eingeschätzt.
DGB/Simone M. Neumann
Sowohl in den Sondierungsgesprächen als auch in den anschließenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD hat die Pflege eine wichtige Rolle gespielt. Fakt ist, dass eine gute pflegerische Versorgung nur durch ausreichend Pflegepersonal zu erbringen ist. Die angekündigte Schaffung von 8.000 neuen Fachkraftstellen im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege reicht allerdings bei Weitem nicht für eine spürbare Entlastung der angespannten Personalsituation in der Altenpflege aus.
Zwischenlösung mit deutlich mehr Personal notwendig
Der DGB begrüßt die geplante Einführung verbindlicher Personalvorgaben und Regelungen – insbesondere im Hinblick auf die Personalbesetzung in der Nacht – die allerdings bundesweit und nicht erst ab 2020 gelten, und dem tatsächlichen Pflegebedarf in Altenheimen wie auch in Krankenhäusern entsprechen müssen. Notwendig ist in diesem Sinne eine tragfähige Zwischenlösung, die verpflichtend für alle Einrichtungsträger deutlich mehr Personal vorsieht. Als Sofortmaßnahme ist daher in stationären Einrichtungen ein Personalschlüssel von 1:2, von einer Pflegekraft auf zwei Bewohnerinnen bzw. Bewohner, vorzusehen. Zudem müssen nachts mindestens zwei Pflegekräfte im Wohnbereich anwesend sein, um die Sicherheit der pflegerischen Versorgung zu gewährleisten. Auch in der ambulanten Pflege ist eine adäquate Zwischenlösung nötig. Um kurzfristig Entlastung zu schaffen und die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs abzusichern, fordert der DGB ein Sofortprogramm für mehr Personal. Dafür sollte der Pflegevorsorgefonds in einen "Pflegepersonalfonds" umgewidmet werden.
Die geplante Stärkung der ambulanten Pflege im Sinne einer Angebotsausweitung speziell in der Kurzzeit- und Tagespflege ist insoweit als eine realistische Ankündigung einzuschätzen, als es zwar schon heute den Rechtsanspruch darauf gibt, dieser aufgrund mangelnder Anbieter jedoch oft nicht eingelöst werden kann.
Personelle Verbesserungen müssen für Pflegebedürftige bezahlbar bleiben
Das Vorhaben, gemeinsam mit den Tarifpartnern für eine flächendeckende Bezahlung in der Altenpflege sorgen zu wollen, begrüßt der DGB ausdrücklich. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass damit der privat zu zahlende Anteil der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen steigt und finanzielle Überlastungen durch die Kommunen aufzufangen sind. Deshalb gilt es deutlich zu machen, dass die angestrebten und dringend benötigten, vor allem personellen Verbesserungen insbesondere für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, bezahlbar sein müssen. Auf keinen Fall dürfen sie das Armutsrisiko für die betroffenen Menschen weiter verschärfen. Die Ankündigung einer zeitnahen Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West durch die Pflegemindestlohn-Kommission ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Ziel muss eine einheitlich adäquate Verdienst-Untergrenze sein, die den hohen Ansprüchen und Leistungen des Pflegepersonals gerecht wird.
Bereits jetzt fehlen 70.000 Pflegekräfte
Auch für den Krankenhaus-Bereich sind sofortige Maßnahmen nötig, um das Pflegepersonal zu entlasten und zu halten. Schon jetzt fehlen 70.000 Pflegekräfte bei weiter zunehmenden Anforderungen durch mehr hochaltrige Patientinnen und Patienten mit großem Pflegebedarf bei immer kürzeren Liegezeiten. Der DGB fordert, dass in keiner Schicht mehr alleine gearbeitet wird und Praxisanleiter für die Zeit der Anleitung von ihren anderen Aufgaben freigestellt werden. Dafür sind 20.000 zusätzliche Vollzeitstellen, besetzt mit Pflegefachkräften, notwendig. Die geplante vollständige Refinanzierung von Tarifsteigerungen in den Krankenhäusern muss mit einer Nachweispflicht verbunden sein, dass diese auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankommt. Nur so ist eine spürbare Entspannung der sich zuspitzenden Personalsituation auf den Stationen und eine auch weiterhin qualitativ gute Versorgung der Patientinnen und Patienten möglich. Der DGB befürwortet die Ankündigung, die Pflegepersonalkosten im Krankenhaus künftig besser und unabhängig von Fallpauschalen vergüten zu wollen. Dazu soll die Krankenhausvergütung auf eine Kombination von Fallpauschalen und einer Pflegepersonalkostenvergütung umgestellt werden. So könnten die Aufwendungen für den krankenhausindividuellen Pflegepersonalbedarf entsprechend konkret berechnet, und ein Pflegepersonalaufbau gezielt angegangen werden.
Verbindlicher Personalvorgaben für alle Pflegebereiche notwendig
Positiv bewertet der DGB, das der Auftrag an Kassen und Krankenhäuser, Personaluntergrenzen für pflegeintensive Bereiche festzulegen, dergestalt erweitert werden soll, dass in Krankenhäusern Pflegepersonal-Untergrenzen für ALLE bettenführenden Abteilungen eingeführt werden. Nur so kommt es nicht zu Verschiebe-Effekten zulasten anderer Bereiche in den Krankenhäusern. Der DGB hatte sich lange dafür eingesetzt, denn nur auf diesem Weg kommt es nicht zu Substitutions-Effekten zulasten anderer Bereiche in den Krankenhäusern. Trotzdem kann dies nur als ein erster Schritt gewertet werden. Er reicht nicht, um die Patientensicherheit und die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals umfassend zu verbessern. Der DGB erwartet eine nachhaltige Lösung, welche die Einführung verbindlicher Personalvorgaben für alle Pflegebereiche enthält und die die Etablierung eines Systems zur bedarfsgerechten Personalbemessung umfasst.
Fazit
Die Pflege-Agenda der Bundesregierung beinhaltet viele gute und begrüßenswerte Ansätze und Maßnahmen. Insgesamt wird die Finanzierung sämtliche Forderungen jedoch nicht dargelegt. Deshalb ist davon auszugehen, dass sie durch weitere Beitragssatzanhebungen gegenfinanziert werden sollen. Im Teilleistungssystem der sozialen Pflegeversicherung bedeutet dies automatisch höhere Kosten für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen.
Aus gewerkschaftlicher Sicht muss sichergestellt werden, dass Pflege weder die Pflegebedürftigen selbst noch deren Angehörige arm macht. Künftige Beitragssatzsteigerungen sind durch die demografischen Herausforderungen unausweichlich, können jedoch durch die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung Pflege begrenzt werden.
Eine ausführliche Einschätzung finden Sie in der Zeitschrift Soziale Sicherheit, Ausgabe 3/2018 (kostenpflichtig).
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